Kumulene: Schönheit in der Linie

Grafik AK Guldi - Kumulene (Grafik: D.M. Guldi/FAU)
Grafik AK Guldi - Kumulene (Grafik: D.M. Guldi/FAU)

Die chemische Welt der elementaren Kohlenstoffmodifikationen, sogenannter Kohlenstoff Allotrope, zeichnet sich heute durch eine großartige Vielfalt aus und geht weit über die natürlich vorkommenden Allotrope Diamant und Graphit hinaus. Neben diesen dreidimensionalen Strukturen sind zum heutigen Zeitpunkt auch synthetische Nanostrukturen wie beispielsweise quasi-eindimensionalen Kohlenstoff-Nanoröhren, sphärische Fullerene oder das zweidimensionale Graphen sowie deren chemische Derivate im Labor realisiert worden. All diese Allotrope besitzen dabei unterschiedliche und hochinteressante physikalischen und chemischen Eigenschaften, weshalb Kohlenstoffmodifikationen sowie Kohlenstoff-reiche Verbindungen während der letzten Jahrzehnte Gegenstand umfassender und intensiver Forschung auf der ganzen Welt waren. Nimmt man jedoch alle bekannten Familienmitglieder des Kohlenstoffs genauer unter die Lupe, so stellt man schnell fest, dass ein Mitglied innerhalb des Verwandtschaftskreises offenbar fehlt: die eindimensionale Kohlenstoff-Kette.

Diese eindimensionale Kette hätte folglich den Durchmesser eines Kohlenstoffatoms und würde damit einen ultimativen molekularen Draht von „unendlicher“ Länge darstellen, welche auch als Carbin (engl. Carbyne) bezeichnet wird. Will man nun die chemische Struktur zu Papier bringen, so wird jeder mit ein wenig Erfahrung bzw. Schulwissen auf dem Gebiet der organischen Chemie feststellen, dass es hierfür zwei unterschiedliche Möglichkeiten gibt: Eine, in der sich Kohlenstoff Dreifach- und Einfach-Bindungen stets abwechseln und eine andere, welche nur aus aufeinanderfolgenden Doppelbindungen besteht. Diese beiden chemischen Strukturen sind in der Tat die zwei quantentheoretisch vorhergesagten Konfigurationen der eindimensionalen Kohlenstoffkette! Hierbei besitzt erstere Modifikation Halbleiter Eigenschaften (Polyin), dessen Bandlücke von den C–C-Bindungslängen der Einfach- und Dreifachbindung abhängig ist und Letztere (Polykumulen) metallische Eigenschaften aufgrund der fortwährend gleichen Bindungslängen der konsekutiven Doppelbindungen. Neben diesen besonderen elektronischen Eigenschaften werden den beiden Konfigurationen von Carbin noch extrem hohe Zugfestigkeit sowie hervorragende Leitfähigkeits-Eigenschaften zugeschrieben.

Traurige Realität ist jedoch, das Carbin als freies, unisoliertes Material im Labor bisher nicht realisiert werden konnte. Um dennoch die Eigenschaften von Carbin erforschen zu können, wurden endlich lange, kürzere Kohlenstoff-Nanodrähte in Form von Oligoine (Polyin Analoga) und Kumulene (Polykumulen Analoga) synthetisch etabliert, welche selbst bereits faszinierende physikalisch-chemische Eigenschaften mit sich bringen. Während Oligoine mit erstaunlichen Kettenlängen mit über 30 Alkin-Gruppen in den letzten Jahren erfolgreich synthetisiert, charakterisiert und auf ihre physikalischen und optischen Eigenschaften untersucht wurden, ist der wissenschaftliche Stand auf Seiten der Kumulene deutlich geringer: Bisher konnten Kumulen-Ketten mit lediglich maximal 9 aufeinander folgenden C–C-Doppelbindungen isoliert werden. Zudem ist das Wissen über deren Eigenschaften, insbesondere deren optische Eigenschaften und Photophysik stark limitiert und zum heutigen Stand so gut wie unbekannt. An dieser Stelle konnte nun die Forschungsgruppe von Prof. Dirk M. Guldi in Zusammenarbeit mit den Forschungsgruppen rund um Prof. Rik R. Tykwinski, Prof. Fabrizia Negri und Prof. Matteo Tommasini nun einen bedeutenden Beitrag leisten. In dieser interdisziplinären Kooperation aus den Bereichen der synthetischen, physikalischen und theoretischen Chemie wurde zum ersten Mal ungeradzahlige Kumulene mit bis zu 7 Doppelbindungen spektroskopisch analysiert und deren photophysikalische Deaktivierungsprozesse offengelegt. Hierbei offenbarte sich ein komplexer Zusammenhang zwischen nuklearen Freiheitsgraden und den resultierenden elektronischen Eigenschaften, wodurch sich über den Einfluss auf Erstere (Rotationsfreiheitsgrade, konformationelle Effkete) die photoinduzierte Dynamik exakt steuern lässt. Darüber hinaus bringt die elektronische Anregung durch Lichtabsorption eine Änderung der C–C-Bindungseigenschaft innerhalb des Kohlenstoff-Nanodraht mit sich, welche sich von der ursprünglichen kumulenischen Anordung mit gleichen Bindungslängen zu einer oligoinen Konfiguration (erhöhte Bindungsabstände) transformiert. Diese kurzlebige Photoisomerisierung, bringt hochinteressante Möglichkeiten im Anwendungsbereich der Photonik mit sich, da sich dadurch elektronische Kommunikation über den Kumulen-Nanodraht gezielt durch Lichteinfluss steuern lassen kann. Dieser erste Schritt markiert einen wichtigen Schritt hin zum Verständnis der optischen Eigenschaften von Kumulenen sowie dem Kohlenstoffallotrop Carbin/Polykumulen und legt damit einen Grundstein für zukünftige Entwicklungen im Bereich molekularer Drähte und lichtgesteuerter Nanotechnologien.

Weitere Informationen:

Orginalpublikation:

T. Ullrich, B. Sun, Y. Yang, C. M. Schüßlbauer, M. J. Ferguson, D. Fazzi, F. Negri, M. Tommasini, R. R. Tykwinski, D. M. Guldi J. Am. Chem. Soc. 2025, 147, 25, 21419–21431.

Excited State Dynamics of Odd [n]Cumulenes: Chain Length and Conformational Effects

doi.org/10.1021/jacs.5c00147

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